Page 85 - Entlebucher Brattig 2008
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V o gelschau –             o der die Aussensicht

        einer Bewegung




                Franz Wüest


                Grundsätzliches                              Chancen und Gefahren der Vogelschau


                Der Titel «Vogelschau» ist für das Projekt, wel-  Die Chancen habe ich zu einem Teil schon in der
                ches im Entlebuch sicher emotional wahrge-   Einleitung dargelegt. Der Prozess an sich ist ein
                nommen wird, sehr gut gewählt. Fast wie bei  äusserst wichtiger und wertvoller Beitrag zur
                «google-earth» schaut man auf die bestehen-  Diskussion über und zur Auseinandersetzung
                den Strukturen und macht sich dazu Gedanken  mit dem eigenen Lebensraum. Ganz konkret
                über ihre  Z  ukunft, aber auch über die     wird  e  s  d  ann, wenn das Ergebnis dieser
                Menschen, welche darin leben. Solch grund-   Arbeiten und Veranstaltungen die Bildung
                sätzliche Überlegungen überhaupt anzugehen   «einer Gemeinde» sein soll.
                und sich auf die Diskussionen einzulassen,   Das ganze Entlebuch eine Gemeinde? Eine
                betrachte ich als sehr wertvoll. Dazu braucht es  durchaus verlockende Vorstellung! Die grösste
                fortschrittlich  d enkende Menschen, welche den  Chance sehe ich in der künftigen Entwicklung
                Mut aufbringen, Bewährtes und Liebgewordenes  der Region. Die Chance, das gesamte Gebiet
                in Frage zu stellen und verantwortungsvoll vor  sinnvoll weiter zu entwickeln, ist mit dieser
                die neuen Ideen zu stehen. Die Überlegungen  Voraussetzung am besten gegeben. Natürlich
                und Ideen blieben nicht nur in den Köpfen von  würde eine solche Gemeinde auch grosses poli-
                einigen wenigen, sondern wurden im Dialog mit  tisches Gewicht in die Entscheidungswaagschale
                Gemeinderäten und in öffentlichen Veranstal-  legen können.
                tungen diskutiert und bezüglich ihrer Um-    Beim Abwägen von Vor- und Nachteilen wer-
                setzung geprüft.                             den zahlreiche Synergiepotenziale und Einspar-
                Die Entlebucherinnen und Entlebucher sind zu  möglichkeiten aufgezählt und die Einsparungen
                beneiden um dieses Vorgehen, sich mit der    im Steuerbereich berechnet. Diese Faktoren sind
                Zukunft ihrer Strukturen selber auseinanderzu-  selbstverständlich sehr wichtig, sie sollten aber
                setzen. Eines ist klar: Nichts ist beständiger als  nicht die einzigen Gründe sein, um dieses Pro-
                der Wandel. Die Gemeindestrukturen in der    jekt umzusetzen. Es braucht mehr.  E s  b  raucht
                Schweiz stammen zu einem beträchtlichen Teil  die Überzeugung, mit dieser Massnahme den
                aus der Zeit Napoleons, als das beste Ver-   künftigen Anforderungen gerecht zu werden
                kehrsmittel die Kutsche war. I n  d er Zwischenzeit  und mit der Entwicklung Schritt zu halten oder
                hat sich vieles verändert. Die Siedlungen waren  gar etwas voraus zu sein. So spielt meines
                früher in vielen Fällen in der Lage, selbstständig  Erachtens die Raumplanung eine ganz wesent-
                zu funktionieren. Die alltäglichen Bedürfnisse  liche Rolle.
                konnten in der Regel im eigenen Dorf weit-
                gehend abgedeckt werden. Der Arbeitsplatz    Die erwarteten Gefahren werden vor allem im
                befand sich ebenfalls im Dorf oder in der nähe-  emotionalen Bereich gesucht, was verständlich
                ren  U mgebung. Das Gleiche galt für die Belange  ist. Der Verlust der dörflichen Identität steht
     84         der öffentlichen Hand. Luzern war weit weg.  dabei im Vordergrund. Auch ein Verlust von
                Inzwischen ist es eben anders geworden. Nach  demokratischem Mitspracherecht wird  i ns Feld
                und nach. Deshalb ist es durchaus angebracht,  geführt.
                über die bestehenden Strukturen nachzuden-   Die dörfliche Identität hat mit der Organisation
                ken. Das heisst nicht, dass Bisheriges falsch war;  der öffentlichen Hand nur einen beschränkten
                aber es ist einfach nicht mehr, w  ie es war.  Zusammenhang. Grosse Gemeinden mit meh-
                                                             reren  O  rtsteilen beweisen dies nachdrücklich.
                                                             Die Frage der demokratischen Mitbestimmung
                                                             sollte lösbar sein und hängt nicht von der
                                                             Grösse einer politischen Organisation ab.
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