Page 95 - Entlebucher Brattig 2008
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Unghüürig
Josef Lischer
Die Sträggele zerreisst in Schüpfheim ein unge-
horsames Kind und verstreut die Leichenteile bis
nach Escholzmatt.
«Eine Mutter war bitter erbost über ihr böses,
unfolgsames Kind, das sich bragend (starr werden
vor Zorn) auf dem Boden wälzte, wenn es
gestraft wurde. In der Verzweiflung versuchte s ie
es mit List zum Gehorchen zu bringen. Sie verab-
redete sich mit dem Knecht, er solle beim
Einnachten vor das Haus gehen; sie werde dann
das Kind aus dem Fenster werfen; er müsse es
dann auffangen. Als es soweit war, r iss die Mutter
das Stubenfenster auf und schalt das Kind mit
den Worten: ‹Du böses Kind, weil du nicht folgen
willst, nimmt dich die böse Sträggele.› B evor der
Knecht das Kind fassen konnte, riss es eine
kreischende G estalt weg und verschwand mit ihm
in der Luft. Man hörte nur noch ein kurzes
Schreien. Die Sträggele zerriss das Kind in Stücke.
Und dort, wo Leichenteile gefunden wurden, sei
eine Kapelle errichtet worden.»
Diese Geschichte bekommt man im Lehn bei
Escholzmatt und in Schüpfheim zu hören, wenn
man nachfragt, warum es denn neben so
vielen Bauernhäusern ein Chäppili gebe. Sie
steht im Büchlein «Christliche Wegzeichen in
der Gemeinde Schüpfheim». Die Schauermär
1
ist übrigens eine Wandersage, die auch an eini-
gen andern Orten im Kanton Luzern so oder
ähnlich erzählt wird; und sie ist ein Gebräu von
religiösen, heidnischen und angeblich christ-
lichen Glaubensvorstellungen.
Kurt Lussi, Konservator der Schenkung Josef
Zihlmann («Seppi a d e W iggere») im Schloss
94 Wyher in Ettiswil und ebenso für Volkskunde im
Historischen Museum Luzern, hat diesen und
ähnlichen Erscheinungen ein spannendes Buch
gewidmet: «Im Reiche der Geister und tanzen-
den Hexen.» 2
Zur Sage vom Türst und der Sträggele führt er
aus:
«Seit alters fürchten sich die Menschen vor den
Jahreszeiten, die von Sturm und Unwetter be-
gleitet sind. Dies ist besonders in den Fron-
fastentagen i m D ezember der Fall. Wenn am
Illustration: Ludwig Suter.